Der Bau im Überblick

Im Gegensatz zum Heidelberger Schloss hat die Heidelberger Heiliggeistkirche in der baugeschichtlichen Forschung lange Zeit ein Schattendasein geführt. Bis heute ist dieser wichtige Bau, der erstmals von Eberhard Zahn in einer Monographie gewürdigt wurde, nur unzureichend durch Bauaufnahmen dokumentiert.

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Südansicht (Quelle: Regierungspräsidium Karlsruhe, Referat Denkmalpflege, Plan- und Fotoarchiv)

Südansicht (Quelle: Regierungspräsidium Karlsruhe, Referat Denkmalpflege, Plan- und Fotoarchiv)

Die architekturgeschichtliche Bedeutung von Heiliggeist verknüpft sich vornehmlich mit dem Chorbau von König Ruprecht aus der Zeit um 1398 bis ca. 1423. Seine Grundrisstypologie ist mit dem Chor der Wormser Liebfrauenkirche eng verwandt.

Die am Bau vorkommenden Maßwerkformen weisen darüber hinaus auf einen engen Zusammenhang mit der Architektur der spätgotischen Glockenstube des Straßburger Münsters.

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Grundriss (Quelle: Eberhard Zahn, Die Heiliggeistkirche zu Heidelberg, Plan 2, 1960)

Grundriss (Quelle: Eberhard Zahn, Die Heiliggeistkirche zu Heidelberg, 1960)

Einen im Grundriss ähnlichen Chorbau plante man in spätgotischer Zeit auch in Straßburg als Ersatz für den romanischen Münsterchor des frühen 13. Jahrhunderts. Hierauf verweist ein bis heute in der Straßburger Münsterbauhütte erhaltener Bauplan, der um 1519 von dem in Heidelberg geborenen Straßburger Münsterbaumeister Bernhard Nonnenmacher (Amtszeit 1519-1547) entworfen wurde.

Bei der Erbauung des Heidelberger Chores in der Zeit ab 1400 wählte man verhältnismäßig einfache Formen. Neuartig und innovativ erscheint insbesondere der Umgangschor mit seinen schlanken Säulen und dem Dienst anstelle eines Mittelfensters in der Mittelachse des Chores.

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Chor - Blick in den Chor mit Säulen, Gewölbe, Orgel, Kanzel und Altar (aufgenommen im April 2013, am späten Vormittag)

Blick in den Chor

Der Heidelberger Chor besaß offenbar eine große Strahlkraft auf andere gleichzeitige und nachfolgende Bauprojekte. Dies bezeugen eindrucksvoll die nachfolgend in den oberbayerischen Herrschaftszentren der Wittelsbacher errichteten Kirchenbauten des Hans von Burghausen, welche typische Elemente des Heiliggeistchores – wie z.B. die kubische Außengestaltung, das filigrane innere Gerüst aus Säulen und Dreistrahlgewölben sowie die chiastische Verschränkung von Säulen und Fenstern in der Blickachse des Chores – übernehmen.

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Chor - Gesamtansicht des Gewölbes, vom Zentrum des Chors aus gesehen (aufgenommen im Oktober 2015, am späten Nachmittag)

Blick in das Chorgewölbe

Auch der Langhausbau der Heiliggeistkirche stellte in seiner Konzeption als Emporenkirche für die Aufnahme der Universitätsbibliothek eine neuartige Lösung dar.

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Mittelschiff - Blick durch die Schiffe auf den Chor (aufgenommen im Juni 2015, am Vormittag)

Blick in das Mittelschiff, in die Seitenschiffe, zu den Emporen und in den Chor

Wie die Baubefunde an der westlichen Chorwand und am Westbau belegen, war zunächst eine Hallenanlage mit oktogonalen Pfeilern geplant, welche den Hallen-Chorbau nach Westen fortführen sollte.

Am Langhaus war offenbar die auch am Schlossbau nachzuweisende Frankfurter Bauschule tätig (Nachfolger des Frankfurter Dombaumeisters Madern Gerthener).

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Südseite - Blick auf das Südschiff und die Südempore (aufgenommen im Oktober 2015, am Nachmittag)

Blick auf die Fenster und Maßwerke des Südschiffs und der Südempore

Hierauf weist das an der südlichen Langhausfassade vorkommende sogenannte Rutenmaßwerk (Maßwerk mit vegetabilen Schmuckelementen) einschließlich der rechteckigen Stabwerksrahmungen der Fenster, das dem nachweislich in Heidelberg tätigen Mainzer Dombaumeister Nikolaus Eseler (1410-83) zuzuschreiben ist.

Mit dem in Süddeutschland vielfältig beschäftigen Werkmeister Nikolaus Eseler verbindet sich vermutlich auch das bemerkenswert aufwendig gestaltete ehemalige Vorhallengewölbe (heute nur noch in den Gewölbeanfängern vorhanden), das als Parallelrippengewölbe nach dem Vorbild der Vorhallenwölbung von St. Georg in Nördlingen und der Goldenen Pforte des Prager Veitsdomes zu rekonstruieren ist.

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Mittelschiff und Seitenschiffe - Blick auf alle Gewölbe, vom Zentrum des Mittelschiffs aus gesehen (aufgenommen im September 2015, am Nachmittag)

Blick auf die Gewölbe des Mittelschiffs und der Seitenschiffe

Ebenfalls neu zu bewerten ist die Datierung der Langhausgewölbe. Da die Gewölberippen Steinmetzzeichen tragen, welche auch an den Schlossbauten des frühen 16. Jahrhunderts vorkommen, ist – anders als bislang vermutet – von einer Vollendung des Langhauses erst im 16. Jahrhundert unter Pfalzgraf Ludwig V. auszugehen.

Mit ihren zahlreichen interessanten baulichen Einzelheiten stellt die Heiliggeistkirche in Heidelberg eines der herausragenden Zeugnisse spätgotischer Baukunst der Region dar.

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Nordempore - 1./2./3./4./5./6. Joch, von Westen aus gezählt - Fenster und Maßwerke (aufgenommen im Juni/Juli 2015, nachmittags)

Fenster und Maßwerke der Nordempore

Ihre geschichtliche Bedeutung ergibt sich aus ihrer ehemaligen Funktion als Fürstenkirche und Memorialkirche für die Pfälzer Wittelsbacher, deren Angehörige im Chorbau bestattet wurden (ihre prachtvollen Grabdenkmäler wurden im Pfälzischen Erbfolgekrieg bis auf das Grab König Ruprechts zerstört).

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Nordschiff - Königsgrab - Grabplatte des Kurfürsten Ruprecht III. und seiner Gemahlin Elisabeth von Hohenzollern (aufgenommen im März 2015, am späten Vormittag)

Grabplatte des Kurfürsten Ruprecht III. und seiner Gemahlin

Gleichzeitig fungierte die Heiliggeistkirche als Pfarrkirche der Altstadt von Heidelberg, während die Langhausemporen zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert als Universitätsbibliothek verwendet wurden.

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Nordempore - Blick vom Nordosten der Südempore auf die Nordempore und in das Nordschiff (aufgenommen im Juni 2015, am Nachmittag)

Blick auf die Nordempore und in das Nordschiff

Darüber hinaus bietet der Bau mit seinem gewaltigen barocken Mansarddach und den aufwendigen Barockportalen ein Beispiel für den qualitätvollen Wiederaufbau Heidelbergs nach den Zerstörungen des Pfälzischen Erbfolgekrieges.

Heidelberg - Heiliggeistkirche - Ostseite - Blick vom nordöstlichen Marktplatz auf die Nordostseite und den Turm (aufgenommen im November 2015, am frühen Vormittag)

Blick auf die Nordostseite und den Turm

Eckdaten zur Baugeschichte des Chors

1398Baubeginn des Chores als Stiftschor und Grablege für die Pfälzer Wittelsbacher.
1399-1414Claus von Lohre, der Straßburger Münsterbaumeister ist in Straßburg beurlaubt, mutmaßliche Baubetreuung des Heidelberger Chores durch den führenden Werkmeister der Straßburger Münsterbauhütte im Auftrag des Pfalzgrafen Ruprecht III., ab 1400 römischer König.
Kurz vor 1410Vollendung der Außenmauern und Arkaden, hölzerne Flachdecke, zunächst kubisches äußeres Erscheinungsbild ohne äußere Strebepfeiler vgl. St. Martin in Amberg, Weihe des Chores.
1410Bestattung König Ruprechts im Chor.
1423Vertrag mit Steinmetz Marx, Vergabe alter hölzerner Baugerüste, demnach wird bis in jene Zeit die Einwölbung des Chores vorgenommen, nachträgliche Anfügung der Chorstrebepfeiler.
1436Bestattung Ludwigs III. im Chor. Dieser als „consummator collegii“, d.h. Vollender des Stiftes und des Stiftschores überliefert. Sein Vater König Ruprecht „HUIUS CHORI ET COLLEGII FUNDATOR“ durch Bauinschrift überliefert.
1441Bautätigkeit an der westlichen Abschlusswand des Chores, Einwölbung des letzten westlichsten Chorjoches. Trapezförmiges westliches Chorjoch nimmt Bezug auf den neuen Langhausplan mit den ab 1436 geplanten Emporen für die Universitätsbibliothek. Hiermit einhergehend Aufgabe des älteren Hallenlanghausplanes mit oktogonalen Pfeilern.
Autor: Julian Hanschke

Eckdaten zur Baugeschichte des Turms

Zwischen 1417 und 1436Baubeginn zwischen 1417 und 1436 (Datierung nach den Wappen Ludwigs III. und Mechthilds von Savoyen), hiermit einhergehend Bau der durch drei hohe Arkaden aufgebrochenen Wand in der Flucht der Ostseite des Turmes.
1467Nikolaus Eseler d. Ä. in Heidelberg, Gutachten Nikolaus Eselers zum weiteren Ausbau des Turmes?
Ca. 1460-1470Jedenfalls vor 1483, dem Todesjahr Nikolaus Eselers, Neubau des Portals unter Wiederverwendung der Wappen Ludwigs III. und Mechthilds von Savoyen durch Nikolaus Eseler, vgl. Südportal von St. Georg in Nördlingen.
1508 bis ca. 1515Etwa gleichzeitig bis 1517 Anbau der Seitenjoche an den Turm, vgl. Baudatum 1517 an der Fensterlaibung im Obergeschoss des südlichen Westbaus.
Autor: Julian Hanschke

Eckdaten zur Baugeschichte des Langhauses

1436Testamentarische Bücherstiftung Ludwigs III., Planung zum Langhaus als Emporenanlage.
1436/1441 bis ca. 1470Arkaden, Außenwände und Maßwerkfenster des Langhauses, Rutenmaßwerk des Nikolaus Eseler vgl. Maßwerke der Marienkapelle in Wertheim von 1447 und der Vorhalle der Stiftskirche in Wertheim (rechteckige Überstabungsrahmungen, Rutenmaßwerk), etwa zeitgleich Bau der Kirche von Armsheim, deren Langhaus ebenfalls mit im Grundriss ovalförmig verzogenen Säulenstellungen versehen ist. Endausbau des Turmes.
1471Das Langhaus ist wohl vollständig benutzbar, urkundlich überlieferte Überlegungen zum Ausbau des Westturmes.
Bis 1487Die Seitenkapellen werden an den Bau angefügt, die freien Plätze um die Kirche herum werden an Händler zur Errichtung von Krambuden veräußert.
1487 bis ca. 1500Wölbung des Langhauses, Baudetails der Wölbung entsprechen der 1485-1496 erbauten Peterskirche, Steinmetzzeichen gleichen denen der Schlossbauten um 1500.
Autor: Julian Hanschke