Grundriss des Chores
Der Anfang des 15. Jahrhunderts errichtete Chor der Heiliggeistkirche bildet die westliche Begrenzung des Heidelberger Marktplatzes. Während die übrigen Teile der Kirche durch die kleinteilige Bebauung der Altstadt dicht umbaut sind, ist das Chorpolygon zum Platz hin freigestellt.
Der spätgotische Chor zeichnet sich durch Proportionen aus, die dem Rang einer Fürstenkirche in jeder Hinsicht gerecht werden: Die Länge des Bauwerks beträgt ca. 27,3 Meter, die Breite des Binnenchores zuzüglich des Umganges ca. 22,3 Meter, die Höhe bis zur Traufe ca. 18 Meter.
Der Chorbau ist im Grundriss nach einem einfachen System gestaltet. Er setzt sich aus einem inneren Chorraum (A) und einem Chorumgang (B) zusammen. Das innere Chorpolygon besteht – geometrisch betrachtet – aus fünf Seiten eines Achtecks (1) bis (5). Damit folgt es dem klassischen Grundrissschema gotischer Chorbauten (Fünfachtelschluss). Um das innere Chorpolygon herum öffnen sich hohe Spitzbögen zum Chorumgang.
Die drei polygonal gebrochenen Außenmauern (C) des Chorumgangs besitzen eine einheitliche Gliederung aus zwei Maßwerkfenstern. Um die nach außen strebenden Schubkräfte der Gewölbe aufzufangen, mussten – wie üblich – Strebepfeiler errichtet werden.
Der Übergang zwischen Chorpolygon und dem anschließenden rechtwinkligen Teil des Chores wird links und rechts durch zwei trapezförmige Joche (D) vermittelt. Im Gegensatz zu den drei östlichen Polygonseiten sind sie außen jeweils mit nur zwei Strebepfeilern versehen und mit einem einzigen, allerdings verbreiterten Fenster ausgestattet.
Die drei nach Westen folgenden Joche erweitern den Chor um ein dreischiffiges rechteckiges Gehäuse (E), das für sich genommen wie ein kleines hallenartiges Langhaus in Erscheinung tritt.
Eine ungewöhnliche Formgebung besitzt der Grundriss des westlichsten Chorjoches (F). Da der innere Chor wesentlich breiter ist als das anschließende Mittelschiff des Langhauses, war es erforderlich, die seitlichen Bogenstellungen leicht abzuwinkeln.
Zusammen mit dem hohen Triumphbogen (G) zwischen Chor und Langhaus bilden die Bögen ein trapezförmiges Joch aus, das sich nach Westen verengt. Auf diese Weise erhält der Chorbau eine zentralisierende Raumwirkung.
Inneres des Chores
Der Querschnitt des Heiliggeistchores folgt den Merkmalen einer Hallenkirche. Bei einer Hallenkirche sind die parallel nebeneinander gestellten Kirchenschiffe gleich hoch (im Gegensatz zum Basilikalsystem, wo die Seitenschiffe niedriger sind und das höhere Mittelschiff flankieren).
Der Raumeindruck im Innern des Chores ist im Wesentlichen von den rot gefassten Gliederungselementen bestimmt. Die hohen Maßwerkfenster in der Außenwand des Hallenumgangs sorgen für eine reiche Beleuchtung des Inneren. Das Gliederungssystem besteht aus Säulen, Bogenstellungen und Gewölberippen. Die steil nach oben strebenden Bauglieder wirken wie ein gerüstartiges entmaterialisiertes Gehäuse. Offenbar handelt es sich um eine bewusste Kontrastbildung, denn der Außenbau erscheint blockhaft und massig.
Bemerkenswert ist nicht nur der Wechsel zwischen Außen- und Innenwirkung, ungewohnt gestaltet sich auch der Blick vom Langhaus in den Chorraum. Hinter dem mittleren Bogen des Chorpolygons erblickt man unerwarteter Weise kein einzelnes Maßwerkfenster (wie sonst üblich), sondern eine Wandsäule, über welcher die Rippen des Gewölbes schirmartig aufstreben.
Darüber hinaus überlagern sich die seitlichen Säulen des inneren Chorpolygons auf reizvolle Weise mit den dahinter gelegenen Chorfenstern. Ein besonderes Merkmal der Heiliggeistkirche sind die schlanken Säulen mit ihren runden Kapitellen, auf welchen die hohen Bögen des Umganges aufliegen.
Gewölbe des Chores
Bezüglich des Gewölbesystems griff der Baumeister des Chores auf Altbewährtes zurück. Anstelle eines komplizierten spätgotischen Sterngewölbes oder Gewölbenetzes (wie z.B. an der Heiligkreuzkirche in Schwäbisch Gmünd) wählte er einfache Kreuzrippen und Dreistrahlgewölbe. Ein Dreistrahlgewölbe überdeckt ein dreieckiges Gewölbefeld und setzt sich aus drei Rippen und drei Gewölbekappen zusammen.
Das Innere der Sakristei enthält zwei Kreuzrippengewölbe und eine Wendeltreppe, die in das Obergeschoss hinaufführt. Ein ebenfalls mit zwei Kreuzrippengewölben überdeckter eingeschossiger Nebenraum, der vermutlich erst um 1500 hinzugefügt worden ist, wird durch eine Außentür und eine Tür in der Westwand erschlossen.
Das Obergeschoss der Sakristei dürfte ursprünglich – wie allgemein in Fürstenkirchen üblich – als Loge für die fürstliche Familie angelegt worden sein.
Fenster und Maßwerke des Chores
Die Außenwände des Chores öffnen sich in drei- und vierbahnigen Spitzbogenfenstern sowie zwei Rosettenfenstern oberhalb des Sakristeianbaus. Die drei am Chor vorkommenden dreibahnigen Fenster weisen alternierende Maßwerkfiguren auf.
Das erste (westliche) Fenster der Südseite („Typ A“) enthält im Bogenfeld drei Bogenvierecke mit darin eingestellten spitzbogigen Vierpässen.
Das (nach Osten) nachfolgende dreibahnige Fenster („Typ B“) besitzt dagegen gestaffelte untere Spitzbogenbahnen. Darüber finden sich zwei Maßwerkkreise mit inneren Dreipässen und einem oberen Bogenviereck.
Das dritte dreibahnige Fenster („Typ C“) setzt sich schließlich aus zwei höheren Seitenbahnen, einer tiefer endenden mittleren Bahn sowie einem großen Maßwerkkreis mit einer inneren Vierpassfigur zusammen.
Ebenso klassisch muten die beiden vierbahnigen Fenstern an den Flanken des Chorpolygons an („Typ D“): Sie enthalten jeweils zwei Spitzbogenpaare, welche jeweils zwei Spitzbogenbahnen und eine darauf ruhende Kreisfigur mit innerem Dreipass umfassen. Darüber folgt wiederum ein einfacher Kreis mit Vierpassfigur. Die seitlichen Zwickelflächen werden am Südfenster von einfachen Miniaturkreisen, am Nordfenster von Fischblasen gefüllt.
Die Rosettenfenster oberhalb der Sakristei wiederholen die Maßwerkfigur des des A-Fensters mit drei radial angeordneten Bogenvierecken mit innerem vierteiligem Kleeblatt.
Mit Ausnahme der spätgotischen Fischblasen am vierbahnigen Fenster der Nordseite sind sämtliche Maßwerkformen der klassischen Hochgotik des 13./14. Jahrhunderts verpflichtet.
So kehrt beispielsweise das A-Motiv am Chorachsenfenster der Kirche des Dominikanerinnenklosters Lambrecht und an St. Martin in Colmar wieder. Als Standard-Fenster der Hochgotik schlechthin lässt sich das D-Fenster bezeichnen.
Fast gleichartige Fenster finden sich an der Oppenheimer Katharinenkirche, am Mainzer Dom und an der Stiftskirche St. Peter und Paul in Weißenburg/Elsaß.
Die für die Zeit um 1400 betont altmodischen Maßwerke stehen innerhalb der oberrheinischen Spätgotik keineswegs isoliert da. So begegnet das vierbahnige Maßwerkfenster in ähnlicher Detailbehandlung an der Glockenstube des Straßburger Westbaus aus dem späten 14. Jahrhundert und an der Ostwand des südlichen Querhausarmes am Frankfurter Dom.
Ferner ist mit dem Straßburger Münster das C-Fenster des Heidelberger Chores in Verbindung zu setzen. Seine Grundstruktur ist im mittleren Frontfenster am Südturm des Straßburger Westbaus seitlich der Glockenstube vorgebildet.
Im weiteren regionalen Zusammenhang ist auf die Kirche des Karmeliterklosters in Hirschhorn im Neckartal zu verweisen, deren 1406 begonnener Chor offenkundig die neuen Maßwerke der Heiliggeistkirche rezipiert (A- und B-Fenster, C-Fenster am Vorchorjoch allerdings mit innerer Fünfpassfigur nach dem Vorbild von Straßburg).
Als letztes Vergleichsbeispiel ist schließlich noch ein mit dem Heidelberger C-Fenster weitgehend übereinstimmendes Maßwerk an der südlichen Chorwand der von Hans Böblinger erbauten Kirche von Mettingen zu nennen.
Baugeschichte des Chores
Die einzelnen Etappen in der Baugeschichte des spätgotischen Heiliggeistchores lassen sich wie folgt rekonstruieren.
Nach dem Baubeginn 1398 wurden zunächst die Außenfassade sowie die Säulen und Arkaden des Chorumgangs errichtet. Die Vollendung dieser Bauteile einschließlich des Dachwerkes dürfte um 1409 anzusetzen sein. Hierauf deuten die Altarstiftungen von 1409 und die Grablege des 1410 verstorbenen Königs sowie die Überführung des Kirchenschatzes im Jahre 1411.
Die Erbauung der Gewölbe scheint hingegen noch die darauffolgenden Jahre in Anspruch genommen zu haben. Als Vollendungsdatum wird die Zeit um 1420, als man den zweiten Kirchenschatz in die Kirche überführte, anzunehmen sein. Vielleicht war die Wölbung des Chores um 1423 weitgehend abgeschlossen, hierfür spricht die urkundliche Erwähnung von altem „gewelbeholcz oder röstholcz [Gewölbe- und Baugerüstholz]“, das der Werkmeister und Steinmetz Hans Marx 1423 zuzüglich zu seinem Lohn erhalten sollte.
Die Wölbung des westlichsten Chorjoches nahm bereits auf die realisierte Disposition des Langhauses Bezug und datiert sicher in das Jahr 1441, als man die Westwand des Chores errichtete (Datierung auf dem Schlussstein des südlichen Durchganges) und somit die bautechnische Voraussetzung für die Wölbung dieses Joches schuf.
Autor: Julian Hanschke
Eckdaten zur Baugeschichte des Chors
1398 | Baubeginn des Chores als Stiftschor und Grablege für die Pfälzer Wittelsbacher. |
1399-1414 | Claus von Lohre, der Straßburger Münsterbaumeister ist in Straßburg beurlaubt, mutmaßliche Baubetreuung des Heidelberger Chores durch den führenden Werkmeister der Straßburger Münsterbauhütte im Auftrag des Pfalzgrafen Ruprecht III., ab 1400 römischer König. |
Kurz vor 1410 | Vollendung der Außenmauern und Arkaden, hölzerne Flachdecke, zunächst kubisches äußeres Erscheinungsbild ohne äußere Strebepfeiler vgl. St. Martin in Amberg, Weihe des Chores. |
1410 | Bestattung König Ruprechts im Chor. |
1423 | Vertrag mit Steinmetz Marx, Vergabe alter hölzerner Baugerüste, demnach wird bis in jene Zeit die Einwölbung des Chores vorgenommen, nachträgliche Anfügung der Chorstrebepfeiler. |
1436 | Bestattung Ludwigs III. im Chor. Dieser als „consummator collegii“, d.h. Vollender des Stiftes und des Stiftschores überliefert. Sein Vater König Ruprecht „HUIUS CHORI ET COLLEGII FUNDATOR“ durch Bauinschrift überliefert. |
1441 | Bautätigkeit an der westlichen Abschlusswand des Chores, Einwölbung des letzten westlichsten Chorjoches. Trapezförmiges westliches Chorjoch nimmt Bezug auf den neuen Langhausplan mit den ab 1436 geplanten Emporen für die Universitätsbibliothek. Hiermit einhergehend Aufgabe des älteren Hallenlanghausplanes mit oktogonalen Pfeilern. |
Siehe auch
- Einführung: Zur Geschichte der Kirche, Der Bau im Überblick, Alte Pläne und Zeichnungen
- Impressionen: Die Kirche von außen und innen, Die Fenster, Die Ausstattung
- Die Kirche im Detail: Von außen, Von innen, Die Ausstattung