Hella Santarossa – Schöpfungsgeschichte – Gottes Geist über dem Chaos
Das zweite Fenster, als einziges der gesamten Reihe schmaler und nur zweibahnig, führt die glitzernde Kleinteiligkeit des Bild-Hintergrundes weiter – sie ist so etwas wie der Fond des Ganzen, der Generalbass der gesamten Fensterfolge, und trägt so wesentlich zu deren stilistischer Einheitlichkeit bei, ist damit stabilisierende kompositorische Voraussetzung für die ansonsten sich lebhaft entfaltende Verschiedenheit.
Auch der senkrechte blaue Mittelstreifen ist wieder da, freilich verblasst, und im Gewimmel der Kleinformen schweben oder schwimmen weiterhin balkenförmige Elemente. Auffallend ist ein unübersehbar markantes, fast architektonisch präzise strukturiertes querrechteckiges Gebilde in leuchtendem Rot – der Farbe, die dominierend als Symbol des Blutes, des Feuers, der Gewalt, aber auch der Liebe und vor allem anderen an diesem Ort des Heiligen Geistes das Schreitersche Konzept bestimmte.
Sie begegnet in vergleichbarer Intensität – nach dem kleinen „Initial“ im ersten Fenster – nur noch im Vierpass des vierten und in der Spitze des fünften Fensters. Eine gewisse Affinität dieses Gebildes, das als ordnendes Element über dem Chaos schwebt, mit einer Flagge ist offenkundig. Mit Flaggen hat sich Hella Santarossa intensiv beschäftigt und in mehreren Arbeiten das Assoziationsspektrums, das sich mit ihnen verbindet, ausgelotet.
Der Geist, so lässt sich interpretieren, schwebt – lichterfüllt – über dem Chaos. Dieses aber ist nicht als solches gekennzeichnet, sondern konkretisiert sich im jugendlichen Gesicht eines Soldaten. Einfühlsam, eindrucksvoll und eindringlich ist die Verbindung zwischen diesem extrem realistischen Zitat – man könnte fast von einer Anleihe bei Gestaltungsweisen der Pop Art sprechen – und dem Titel des Fensters, der mit diesem Detail aus der Genesis gleichsam in die Gegenwart katapultiert wird und zugleich exemplarisch steht für die subjektive Ikonographie, die für den gesamten Fensterzyklus charakteristisch ist.
Der junge Mensch, der auf seinem Helm eine Nummer trägt, „ist ein Soldat, ein Kind noch, das man zum Waffentragen ausgebildet und durch ideologische Erziehung zum Töten bereit gemacht hat“. Hella Santarossa erzählt, dass sie dieses Kind auf dem Roten Platz in Moskau getroffen hat. Kann verderbliches Chaos eindrucksvoller dargestellt werden?
Die tiefste Finsternis sieht die Künstlerin in diesem Kinde. Gottes ordnende und schützende Hand, die dieses Kind und die Welt aus dem Chaos erlösen kann, erscheint nur abstrakt angedeutet in einem rechteckigen geordneten Feld über dem Kopf des Kindes in leuchtenden gelben und roten Farben, bei denen das Rot als Farbe des Geistes überwiegt. Gottes Geist schafft Ordnung aus der Unordnung. Gottes Geist klärt, ordnet zu.
Autor: Hans Gercke
Mit freundlicher Genehmigung entnommen und gekürzt aus: Hans Gercke: Hella Santarossa – Ihre Fenster in der Heiliggeistkirche Heidelberg 1997-2002. In: Iris Nestler (Hrsg.): Meisterwerke der Glasmalerei des 20. Jahrhunderts in den Rheinlanden, Band III, Mönchengladbach 2019, Seiten 266-275
Siehe auch
- Einführung: Zur Geschichte der Kirche, Der Bau im Überblick, Alte Pläne und Zeichnungen
- Impressionen: Die Kirche von außen und innen, Die Fenster, Die Ausstattung
- Die Kirche im Detail: Von außen, Von innen, Die Ausstattung